Entlassung in Frankreich: Was Personalverantwortliche über Abfindungen wissen müssen
In Frankreich entlassen – und jetzt? Die Berechnung der Abfindung ist für viele Unternehmen ein heikles Thema, das rechtliche Präzision und fundiertes Wissen erfordert. Ob deutsche Firmen mit Tochtergesellschaften in Frankreich oder HR-Verantwortliche in internationalen Konzernen: Wer Personal in Frankreich abbaut, muss die gesetzlichen Vorgaben genau kennen. In diesem Leitfaden zeigen wir Ihnen klar, verständlich und praxisnah, wie Sie eine Abfindung korrekt berechnen – mit Formeln, Rechenbeispielen und Tipps für Ihre HR-Praxis.
2. Gesetzliche Grundlagen und Voraussetzungen
3. Formel zur Berechnung der Abfindung
4. Konkrete Beispiele zur Berechnung
5. Besteuerung der Abfindung in Frankreich
6. Tipps für HR-Manager in der Praxis
In Frankreich ist eine Abfindung („indemnité de licenciement“) gesetzlich vorgeschrieben, wenn ein unbefristeter Arbeitsvertrag (CDI) aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen beendet wird – außer im Falle eines schweren Fehlverhaltens (faute grave oder faute lourde).
"Die Abfindung dient als finanzielle Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes und soll dem Arbeitnehmer helfen, die Zeit bis zur neuen Anstellung zu überbrücken. "
Lea Orellana-Negrin
Recruiter
Eurojob-Consulting

Laut dem Code du travail haben alle Arbeitnehmer, die mindestens 8 Monate ohne Unterbrechung im Unternehmen gearbeitet haben, Anspruch auf eine gesetzliche Abfindung. Dieser Schwellenwert wurde 2017 gesenkt (vorher: 1 Jahr), um den sozialen Schutz zu verbessern.
Ein konkretes Beispiel:
Ein Mitarbeiter mit 6 Jahren Betriebszugehörigkeit und einem durchschnittlichen Bruttogehalt von 2.800 € pro Monat erhält mindestens:
6 Jahre × 1/4 × 2.800 € = 4.200 € brutto.
Im Jahr 2022 wurden in Frankreich über 370.000 Kündigungen verzeichnet, davon rund 95.000 wirtschaftlich bedingt, laut Dares. Die Einhaltung der Vorschriften zur Abfindung ist für Unternehmen entscheidend, um Rechtsstreitigkeiten vor dem Arbeitsgericht („Conseil de prud’hommes“) zu vermeiden – insbesondere, da rund 65 % der Arbeitnehmer dort ganz oder teilweise Recht erhalten, so der Bericht des Ministère de la Justice.
Auch multinationale Unternehmen wie Renault oder Air France mussten in den letzten Jahren Millionenbeträge an Abfindungen zahlen, etwa im Rahmen von Sozialplänen (Plans de Sauvegarde de l’Emploi – PSE).
Für internationale Personalabteilungen ist es deshalb essenziell, die Pflicht zur Abfindung als festen Bestandteil jeder Kündigungsstrategie in Frankreich einzuplanen.
Die gesetzliche Abfindungspflicht in Frankreich basiert auf den Vorschriften des Code du travail, insbesondere auf Artikel L1234-9 und Artikel R1234-2, die über die offizielle Plattform Légifrance öffentlich zugänglich sind. Diese Artikel regeln genau, wann und wie eine Abfindung zu zahlen ist, und betreffen ausschließlich unbefristete Arbeitsverträge (CDI – Contrat à Durée Indéterminée).
Ein Arbeitnehmer hat Anspruch auf eine gesetzliche Abfindung, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- Der Vertrag muss ein unbefristeter Arbeitsvertrag (CDI) sein.
- Der Arbeitnehmer muss mindestens 8 Monate ununterbrochen im Unternehmen tätig gewesen sein (seit der Reform vom 24. September 2017).
- Die Kündigung darf nicht auf ein schweres oder grobes Fehlverhalten (faute grave oder faute lourde) zurückzuführen sein.
- Die Kündigung muss vom Arbeitgeber ausgehen (nicht vom Arbeitnehmer).
Die Höhe der Abfindung richtet sich nicht nach dem Kündigungsgrund (persönlich oder wirtschaftlich), sondern nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Bruttogehalt. Eine Vertragskündigung in gegenseitigem Einvernehmen (rupture conventionnelle) kann ebenfalls eine Abfindungspflicht auslösen, deren Bedingungen allerdings abweichen und vom Inspection du travail genehmigt werden müssen.
Beispiel aus der Praxis:
Ein Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern, das 12 Angestellte aus wirtschaftlichen Gründen entlässt, muss gemäß Gesetz einen Sozialplan (PSE – Plan de Sauvegarde de l’Emploi) aufstellen. Wird dies versäumt, drohen erhebliche Sanktionen: Das Conseil de prud’hommes kann den gesamten Kündigungsprozess für nichtig erklären – mit Nachzahlungen von Löhnen, Abfindungen und Beiträgen.
Zudem verpflichten viele französische Tarifverträge (conventions collectives) die Arbeitgeber dazu, über die gesetzliche Abfindung hinauszugehen. Zum Beispiel sieht die Tarifvereinbarung der Metallindustrie (UIMM) häufig Abfindungssätze von 1/3 oder sogar 1/2 Monatsgehalt pro Dienstjahr vor.
Für HR-Manager, insbesondere in internationalen Gruppen, ist es deshalb unerlässlich, gesetzliche Vorschriften mit branchenspezifischen Regelungen zu kombinieren, um Risiken zu minimieren.
Die Berechnung der gesetzlichen Abfindung in Frankreich erfolgt nach einer standardisierten Formel, die im Code du travail, Artikel R1234-2, festgelegt ist. Diese Formel gilt für alle unbefristeten Arbeitsverträge (CDI), sofern keine abweichenden tarifvertraglichen Regelungen bestehen.
Die gesetzliche Formel lautet:
¼ des durchschnittlichen Bruttomonatsgehalts pro vollem Dienstjahr für die ersten 10 Jahre,
+ ⅓ pro vollem Dienstjahr ab dem 11. Jahr.
Dabei ist der Referenzlohn der günstigere der folgenden beiden Optionen:
- Der Durchschnitt der letzten 12 Monatsgehälter,
- oder der Durchschnitt der letzten 3 Monate, inklusive variabler Bestandteile wie Boni oder Provisionen.
Quelle: Légifrance – Art. R1234-2
Rechenbeispiel 1: 8 Jahre Betriebszugehörigkeit
Ein Mitarbeiter verdient durchschnittlich 3.000 € brutto/Monat.
Berechnung:
8 Jahre × ¼ × 3.000 € = 6.000 € gesetzliche Abfindung
Rechenbeispiel 2: 12 Jahre Betriebszugehörigkeit
Durchschnittsgehalt: 3.500 € brutto/Monat
Berechnung:
- 10 Jahre × ¼ × 3.500 € = 8.750 €
- 2 Jahre × ⅓ × 3.500 € = 2.333 €
- Gesamtabfindung: 11.083 € brutto
Wichtiger Hinweis für HR:
Diese Formel stellt das gesetzliche Minimum dar. In vielen Branchen (z. B. Luftfahrt, Automobilindustrie, Bankensektor) sehen die conventions collectives oder individuelle Arbeitsverträge deutlich höhere Sätze vor. So kann die tarifliche Abfindung bei Air France oder PSA Peugeot Citroën bis zu 0,5 Monatsgehälter pro Jahr betragen – das Doppelte des gesetzlichen Niveaus.
Auch bei einer einvernehmlichen Kündigung (rupture conventionnelle) gelten eigene Rechenregeln. Die gesetzliche Abfindung stellt hier das Minimum dar, doch oft werden freiwillige Aufstockungen vereinbart, insbesondere in gut verhandelten Austrittsverträgen bei Führungskräften oder langjährigen Mitarbeitern.
Die reine Berechnungsformel ist zwar einfach, doch in der Praxis ist jede Abfindung individuell – abhängig von der Branche, dem Gehalt, der Dauer der Betriebszugehörigkeit und eventuellen tariflichen Vereinbarungen. Im Folgenden finden Sie realitätsnahe Rechenbeispiele, die typischen Fällen in französischen Unternehmen entsprechen.
Beispiel 1: Mitarbeiter im Einzelhandel (6 Jahre Betriebszugehörigkeit)
- Durchschnittsbruttogehalt: 2.200 €
- Branche: Einzelhandel, Tarifvertrag mit gesetzlicher Abfindung
- Formel: 6 × ¼ × 2.200 € = 3.300 €
In diesem Fall zahlt der Arbeitgeber die gesetzliche Mindestabfindung, da der Tarifvertrag keine günstigeren Regelungen vorsieht.
Beispiel 2: Facharbeiter in der Metallindustrie (11 Jahre)
- Durchschnittsgehalt: 2.900 € brutto
- Branche: Industrie, Tarifvertrag UIMM
- Formel:
- 10 Jahre × ¼ × 2.900 € = 7.250 €
- 1 Jahr × ⅓ × 2.900 € = 966,67 €
- Gesamtabfindung: 8.216,67 €
In der Metallbranche wird laut UIMM häufig ein Abfindungssatz von ⅓ pro Jahr gewährt, was die Gesamtabfindung erhöhen kann.
Beispiel 3: Manager in einem Großunternehmen (20 Jahre)
- Durchschnittsgehalt: 6.000 € brutto
- Branche: Telekommunikation, individuelle Vereinbarung mit großzügiger Abfindung
- Gesetzliche Formel:
- 10 Jahre × ¼ × 6.000 € = 15.000 €
- 10 Jahre × ⅓ × 6.000 € = 20.000 €
- Gesetzliche Mindestabfindung: 35.000 €
In der Praxis erhält der Manager 45.000 €, da die Abfindung im Rahmen einer Rupture conventionnelle individuell ausgehandelt wurde, inklusive einer freiwilligen Aufstockung durch das Unternehmen.
Durchschnittswerte in Frankreich
Laut einer Studie des DARES beträgt die durchschnittlich gezahlte Abfindung bei einer rupture conventionnelle in Frankreich etwa 0,4 Monatsgehälter pro Dienstjahr, mit Spitzenwerten bis zu 1,2 Monatsgehältern in hochqualifizierten Positionen.
Diese Beispiele verdeutlichen, wie wichtig es ist, nicht nur die reinen Zahlen, sondern auch den rechtlichen und vertraglichen Kontext zu berücksichtigen. HR-Manager sollten bei jedem Fall prüfen, ob tarifliche, betriebliche oder individuelle Vereinbarungen über das gesetzliche Minimum hinausgehen.
Die Frage der Besteuerung von Abfindungen ist in Frankreich besonders wichtig, da sie sowohl die Höhe der Auszahlung als auch die soziale und steuerliche Belastung für den Arbeitnehmer betrifft. Grundsätzlich gilt: Eine gesetzliche Abfindung ist unter bestimmten Bedingungen teilweise oder vollständig steuerfrei, jedoch können zusätzliche Beträge steuer- und sozialabgabenpflichtig sein.
Gemäß den Richtlinien der Direction générale des Finances publiques (DGFiP) gelten folgende Grundsätze:
Die gesetzliche oder tarifliche Abfindung (indemnité légale ou conventionnelle) ist bis zur gesetzlich vorgesehenen Höhe vollständig steuerfrei.
Abfindungsbeträge, die darüber hinausgehen (z. B. bei freiwilliger Aufstockung durch den Arbeitgeber), können steuerpflichtig sein, es sei denn:
- die Abfindung erfolgt im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs oder einer gerichtlichen Entscheidung,
- oder sie liegt innerhalb von drei bestimmten Steuergrenzen, etwa dem Doppelten der Bruttovergütung des letzten Jahres oder dem Fünffachen des jährlichen Sozialversicherungslimits.
Beispiel: Ein Mitarbeiter erhält bei Kündigung eine Abfindung von 30.000 €, während die gesetzliche Mindestabfindung bei 20.000 € liegt. Nur die 20.000 € sind garantiert steuerfrei; die restlichen 10.000 € können, je nach Einzelfall, ganz oder teilweise besteuert werden.
Hinzu kommen mögliche Sozialabgaben wie:
- CSG (Contribution Sociale Généralisée): 9,2 %,
- CRDS (Contribution pour le Remboursement de la Dette Sociale): 0,5 %.
Abfindungen oberhalb einer bestimmten Schwelle unterliegen außerdem gegebenenfalls den normalen Sozialversicherungsbeiträgen, was die Nettoauszahlung stark beeinflussen kann.
Die genauen Modalitäten sind komplex und hängen von der individuellen Situation ab. Die französische Steuerbehörde bietet dazu eine detaillierte Übersicht auf impots.gouv.fr.
HR-Verantwortliche sollten daher bei der Planung von Abfindungen unbedingt einen Steuerberater oder Arbeitsrechtsexperten einbeziehen, insbesondere bei hohen Summen oder individuellen Vereinbarungen. Dies ist auch deshalb entscheidend, weil falsche Besteuerung Nachzahlungen oder Sanktionen nach sich ziehen kann – sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer.
Die korrekte Berechnung und Auszahlung einer Abfindung ist nicht nur eine juristische Pflicht, sondern auch ein entscheidender Faktor im Personalmanagement, insbesondere für Unternehmen mit Niederlassungen oder Tochtergesellschaften in Frankreich. Fehler in der Kommunikation, Dokumentation oder Berechnung können zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen, die teuer und imageschädigend sind.
Um dies zu vermeiden, sollten Personalverantwortliche folgende Empfehlungen beachten:
- Nutzen Sie offizielle Berechnungshilfen, wie z. B. den Rechner auf Service-Public.fr, um eine erste Schätzung der gesetzlichen Abfindung zu erhalten.
- Überprüfen Sie, ob ein Tarifvertrag (convention collective) auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist, da dieser häufig höhere Abfindungssätze oder besondere Kündigungsregelungen vorsieht.
- Achten Sie darauf, dass die Kündigung formal korrekt abläuft: Anhörung des Arbeitnehmers, Dokumentation des Kündigungsgrundes, Einhaltung der Kündigungsfrist, Erstellung eines Kündigungsschreibens.
- Ziehen Sie bei komplexeren Fällen einen Fachanwalt für Arbeitsrecht oder einen spezialisierten HR-Consultant hinzu – vor allem bei Führungskräften, älteren Mitarbeitern oder Sozialplänen (PSE).
- Führen Sie die Abfindung termingerecht bei Beendigung des Arbeitsvertrags aus, um Zinsen oder Sanktionen durch das Arbeitsgericht zu vermeiden.
- Schulen Sie Ihre HR-Teams im Umgang mit französischem Arbeitsrecht, insbesondere wenn Sie von Deutschland oder einem Drittland aus agieren.
Ein Praxisbeispiel: Eine deutsche GmbH mit Sitz in München, die eine Vertriebsniederlassung in Lyon unterhält, wurde 2023 zur Zahlung von mehr als 28.000 € an einen ehemaligen Vertriebsleiter verurteilt – inklusive Verzugszinsen –, weil die Kündigung nicht ordnungsgemäß dokumentiert und die Abfindung zu niedrig berechnet wurde.
Die französische Arbeitsrechtskultur ist stark auf den Schutz der Arbeitnehmerrechte ausgerichtet. Wer hier proaktiv, transparent und regelkonform handelt, kann nicht nur Risiken minimieren, sondern auch die Arbeitgebermarke stärken.
Mehr dazu:
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Olivier